Editionen im Netz. Bereitstellung und gemeinsame Nutzung elektronischer Ressourcen

Editionen im Netz. Bereitstellung und gemeinsame Nutzung elektronischer Ressourcen

Organisatoren
Schweizerische Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts (SGEAJ)
Ort
Basel
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.09.2008 - 13.09.2008
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Von
Stefan Hächler / Caroline Schnyder / Carmen Furger / Werner Dönni, Edition Zurlaubiana, Aarau

Auf der Tagung "Die Zukunft der wissenschaftlichen Editionen" vom 7. bis 9. Dezember 2006 in Basel wurde konstatiert, dass die Zukunft der Editionen kaum ohne elektronisches Publizieren zu denken sei. Die hier zu besprechende Folgetagung "Editionen im Netz" gab die Gelegenheit, dieses Thema vertieft zu diskutieren. FRITZ NAGEL (Basel) eröffnete als Gastgeber die Tagung mit kritischen Fragen und Bemerkungen. Zwar spreche vieles für Editionen im Netz: die breite Verfügbarkeit, der Schutz des Originals, das Potential rascher und vielfältiger Recherchen und die Möglichkeit, bereits edierte Texte zu aktualisieren oder weiter zu bearbeiten. Dennoch sei grundsätzlich zu überlegen, ob eine Edition im Netz für alle Quellen gleichermassen geeignet sei, ferner wie die Nachhaltigkeit und überhaupt die Qualität von Web-Editionen zu sichern seien. Schon der erste Tagungsbeitrag legte dann nahe, dass je nach Textmaterial unterschiedliche Präsentationsformen und damit auch unterschiedliche digitale Formate angezeigt sein könnten.

MATTHIAS SPRÜNGLIN (Basel) berichtete von "Erfahrungen mit der Umschrift von Textträgern aus der neueren Literatur in TEI-XML" im Rahmen der Kritischen Robert Walser-Ausgabe, die in Buchform mit ergänzender DVD erscheinen wird. Buch und DVD wurden auf der Grundlage eines Masterdokuments erstellt, das in TEI-XML, einem reinen Textformat, formatiert ist. TEI-XML bewähre sich, so Sprünglin, für die Erfassung und Präsentation gedruckter Texte, sei aber für komplexe Handschriften und die Darstellung von deren Logik und Genese nur bedingt geeignet. Gefragt wäre nach Sprünglin ein XML-Format, das sich primär an topografischen Strukturen orientiere.

Die beiden nächsten Beiträge legten den Finger auf den wunden Punkt der Nachhaltigkeit von Editionen im Netz. ANDREAS BIGGER (Basel) stellte unter dem Titel "Auf dem Weg zu einer Toolbox für Web-Editionen" einen Lösungsweg in Aussicht, nämlich die Anbindung von Editionsprojekten an eine grössere Organisation mit einem dauerhaften Auftrag, im konkreten Fall die Zusammenarbeit zwischen der Bernoulli-Briefwechsel-Edition und der Universitätsbibliothek Basel (UB). Die elektronische Edition muss, wie Bigger ausführte, auf die von der UB betreuten strategischen Produkte abgestimmt werden, so dass die UB auch längerfristig deren inhaltliche und technische Pflege übernehmen kann. Für die geplante Web-Edition werde nach modularen Lösungen gesucht.

LUKAS ROSENTHALER (Basel) präsentierte die "Entwicklung einer Web 2.0-Applikation zur Präsentation und Erforschung der Basler Frühdrucke". Für die Web 2.0-Applikation habe man sich für einen Hybrid zwischen relationaler Datenbank und einem Resource Description Framework entschieden, für eine komplexe Struktur mithin, die in hohem Masse von verschiedenen Technologien abhängig sei. Damit stelle sich das Problem der Nachhaltigkeit: Technik, Software und Metadaten seien heute rasch überholt, zweckmässige Lösungen zur langfristigen Speicherung digitaler Daten noch nicht zur Hand. Zurück zum Buch also? Nein, denn die Darstellung von Vernetzungen oder die interaktive Navigation vermöge ein Buch nicht zu leisten.

SULAMITH GEHR (Basel) sprach über "Die Bernoulli-Briefwechsel. Von der Handschrift zum digitalisierten Text". Für eine elektronische Edition der Bernoulli-Briefwechsel spreche unter anderem die elektronisch einfachere Handhabung des heterogenen Quellenkorpus sowie die Möglichkeit der Staffelung von Bearbeitungsgängen. Das Inventar der Bernoulli-Briefwechsel ist bereits heute online über den Katalog der UB Basel abrufbar und soll in Kooperation mit der UB Basel um die Transkriptionen und die Digitalisate der Originale ergänzt werden (vgl. die Ausführungen von Andreas Bigger). Ziel sei eine Web-Edition, die Text, Bild und Metadaten verbinde. Die Web-Edition bleibe jedoch vorläufig auf die noch nicht in Buchform veröffentlichten Dokumente beschränkt.

HARTMUT HECHT (Berlin) stellte mit "Leibniz' naturwissenschaftlich-medizinisch-technische Schriften im Netz. Dimensionen einer Internet-Edition" ein Projekt innerhalb der grossen Leibniz-Edition vor, das erst 2001 in Angriff genommen wurde und von Anfang an als Buch- und Internet-Publikation geplant war. Letztere habe gegenüber der Printversion eine Reihe von Vorteilen, insbesondere für die Präsentation naturwissenschaftlichen Wissens. So können beispielsweise Leibniz' Überlegungen, die er zuweilen in hochkomplexen Zeichnungen darstellte, dank dynamischer Animationen im Netz veranschaulicht werden.

MARTIN STUBER (Bern) zeigte in seinem Beitrag "Verbund der Forschungsdatenbanken zu Albrecht von Haller und zur Oekonomischen Gesellschaft Bern", wie eine von einem bestimmten Forschungsprojekt aufgebaute Datenbank für weitere Projekte fruchtbar gemacht werden kann. Eine vertragliche Regelung ermöglicht es den Mitarbeitern des Projekts "Die Oekonomische Gesellschaft Bern im europäischen Kontext (1750-1850)", die bestehende Datenbank zu Albrecht von Haller zu benutzen und ihren Bedürfnissen gemäss zu ergänzen. Dank Daten aus beiden Projekten konnte zum Beispiel untersucht werden, wie sich das Wissen um die Krapp-Pflanze verbreitete. Die Burgerbibliothek Bern gewährleistet die physische Heimat der Datenbank, die Pflege und Unterhalt einschliesst.

Im Schlussvortrag über die "Problematik digitaler Edition" warnte ROLAND REUß (Heidelberg) in polemischer Absicht vor der "Chinesisierung" im Editionsbereich, das heisst vor der möglichst schnellen, billigen und massenhaften Produktion online verfügbarer Texte auf Kosten der traditionell philologischen Arbeitsweise. Wer als Editor auf das gedruckte Buch und auf die Zusammenarbeit mit Verlagen verzichte, gefährde die Verbindlichkeit und Qualität seines Werks.

Buch oder Nicht-Buch - die Frage blieb in den Diskussionen umstritten. Insbesondere Editoren "schöner", literarischer Texte betonten, eine Edition habe zunächst einmal ein Lesebuch zu sein. Verschiedene Tagungsteilnehmer hoben dagegen nicht nur die praktischen Vorzüge von Web-Editionen für Bearbeiter und Publikum hervor, sondern betonten auch das Innovationspotential digitaler Anwendungen für die geisteswissenschaftliche Forschung.
In der Schlussdiskussion wurde zudem darauf aufmerksam gemacht, dass die Editionsteams weitgehend isoliert arbeiteten und es (zumindest in der Schweiz) weder gemeinsame Richtlinien noch eine Anlaufstelle für Editionsprojekte gebe. Das Interesse an der Tagung zeigt, dass gerade in technischen und methodischen Fragen durchaus ein Bedürfnis nach übergreifendem Informations- und Erfahrungsaustausch besteht. Regelmässige Tagungen könnten zumindest einen ersten Schritt in die gewünschte Richtung darstellen.

Bei all den angeregten Diskussionen konnte die Frage nach den Eigenheiten und besonderen Bedürfnissen der vorgestellten Editionsprojekte nicht gebührend vertieft werden. So blieb letztlich offen, inwiefern verschiedene Quellentypen – literarische Texte, historische Akten oder naturwissenschaftliche Zeichnungen etwa – nach unterschiedlichen Editionsformen verlangten. Vielleicht wäre dies ein Thema für eine nächste Tagung.

Konferenzübersicht:

Fritz Nagel, SGEAJ und Bernoulli-Edition Basel: Begrüssung und Einführung in das Tagungsthema

Matthias Sprünglin, Kritische Robert Walser-Ausgabe, Basel: Erfahrungen mit der Umschrift von Textträgern aus der neueren Literatur in TEI-XML

Andreas Bigger, Universitätsbibliothek Basel: Auf dem Weg zu einer Toolbox für Webeditionen

Lukas Rosenthaler, Imaging & media lab, Universität Basel: Entwicklung einer Web 2.0-Applikation zur Präsentation und Erforschung der Basler Frühdrucke

Sulamith Gehr, Bernoulli-Edition Basel: Die Bernoulli-Briefwechsel. Von der Handschrift zum digitalisierten Text

Hartmut Hecht, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften: Leibniz' naturwissenschaftlich-medizinisch-technische Schriften im Netz. Dimensionen einer Internet-Edition

Martin Stuber, Historisches Institut, Universität Bern: Verbund der Forschungsdatenbanken zu Albrecht von Haller und zur Oekonomischen Gesellschaft Bern

Roland Reuß, Universität Heidelberg und Institut für Textkritik, Heidelberg: Zur Problematik digitaler Edition

Anmerkung:
[1] Dieser Tagungsbericht ist auch im Bulletin pro Saeculo XVIIIo Societas Helvetica, Nr. 2, 2008, erschienen.


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